Interview


„Autodidaktisches Lernen mit interaktiven Elementen ist um ein Vielfaches effektiver als passiv etwas beigebracht zu bekommen“

Martin Sommer und Manuel Epli über das Potenzial digitaler Lernplattformen

Wie entstand die konkrete Idee für eine digitale Schulungslösung für Unternehmen?

Martin Sommer: Im Grunde war die Entstehung von eLearningPlus ein „developing by doing“-Prozess. Wir haben in der Vergangenheit einigen etablierten Unternehmen in Ulm dabei geholfen, online Tausende an Leads und Millionen an Umsatz zu generieren. Zwei dieser Unternehmen sahen sich dann fast zeitgleich mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Mona Loser, Inhaberin einer der besten Friseursalons in Baden-Württemberg, trat an uns mit der Frage heran, wie die Ausbildung der Azubis verbessert werden kann. Verbunden damit war der Wunsch, bei den Azubis ein einheitliches Niveau zu erreichen, damit die hohen Service- und Qualitätsstandards gegenüber den Kunden gewährleistet werden können. Das zweite Unternehmen war die Reyhle GmbH & Co. KG, ein großer Fahrradhändler.

Manuel Epli: Als Marco Reyhle, der Geschäftsführer der Reyhle GmbH & Co. KG, mich das erste Mal angesprochen hat, schilderte er mir, dass es eine enorme Nachfrage nach Fahrrädern gibt und dass er neue Mitarbeiter gar nicht schnell genug ausbilden kann. Ich habe mit Marco damals dann eine Liste mit allen Punkten gemacht, die ein neuer Mitarbeiter beherrschen muss. Dabei ging es auch um simple Dinge, wie z. B. das richtige Aufräumen des Verkaufsraums nach Ladenschluss. Ich habe mit Marco dann vereinbart, dass er dieses Aufräumen, wenn er es das nächste Mal einem neuen Mitarbeiter erklärt, einfach mit seinem Handy aufnimmt. Dieses Video haben wir dann noch ein bisschen bearbeitet und in einer Online-Akademie hochgeladen.

Was waren die Ergebnisse dieser ersten „Testläufe“?

Martin Sommer: Bei den ersten beiden Pilotprojekten war das alles noch recht einfach gemacht. Das Schöne war aber, dass die Effekte da waren. Marco hat seither nie wieder einem neuen Mitarbeiter erklären müssen, was es am Ende des Arbeitstages zu tun gibt. Es ist zeitlich einfach enorm entlastend, wenn neue Mitarbeiter ohne Einbindung des Chefs das für ihre Rolle notwendige Wissen lernen. Gleichzeitig steigt durch festgelegte Standards selbstverständlich auch das Qualitätsniveau. Und das ist doch das, worum es letzten Endes geht. Diese erfolgreichen Testläufe haben dann dazu geführt, dass wir unser Konzept auf andere Unternehmensbereiche und Branchen übertragen haben und auch die Technik – also die Lernplattform, die wir einsetzen – immer weiterentwickelt haben. Mit jedem neuen Kunden und jeder neuen Ausgangslage haben wir uns dann intensiver mit den Themen „Digitalisierung von Know-how“ und „Systematisierung von Ausbildungs- und Einarbeitungsprozessen“ beschäftigt. Das war für uns eine spannende Zeit. Wir haben viele Unternehmen und Herausforderungen kennen lernen dürfen und haben bei der Umsetzung von eLearningPlus viel Erfahrungen sammeln können.

Worauf basiert Ihre Expertise in puncto Ausbildung und Schulung?

Manuel Epli: Martin und ich haben an einer gewerblichen bzw. kaufmännischen Berufsschule zusammengerechnet fast 20 Jahren Praxiserfahrung gesammelt. Während Martin zusätzlich einen universitären Lehrauftrag für Fachdidaktik hat, habe ich 15 Jahre ein Orchester aufgebaut, mit dem ich dann 2016 den Deutschen Orchesterwettbewerb gewonnen haben. Maßgeblich für diesen Erfolg war die Systematisierung und Verbesserung des Ausbildungsprozesses. 2018 haben wir beide dann begonnen, die größte Lernplattform für Orchesterleiter im deutschsprachigen Raum aufzubauen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit digitalen Lernkonzepten?

Martin Sommer: Die Entwicklung des Coachings-Konzepts und der Aufbau der Lernplattform für die Dirigenten hat uns sehr viele Erfahrungswerte geliefert. Gleichzeitig haben wir beide viel Know-how bei der Digitalisierung des Unterrichts in der Schule und der Lehre an der Universität gesammelt. Gerade in Mathematik und Informatik ist hier viel möglich und man kann erstaunliche Erfolge damit erzielen.


Die wichtigste Erkenntnis dieser ersten „Experimente“: Selbstständiges Lernen über eine digitale Schulungsplattform – kombiniert mit interaktiven Elementen und ergänzendem gedrucktem Arbeitsmaterial – ist um ein Vielfaches effektiver, als wenn die Lernenden im guten alten Frontalunterricht etwas beigebracht bekommen.

Warum sind Ihrer Meinung nach interaktive Lernformate besser geeignet?

Manuel Epli: Ich denke, durch Corona haben viele Menschen in Webinaren oder ähnlichen Online-Events selbst die Erfahrung gemacht, dass man als „passiver Zuschauer“ nicht allzu viel an Input mitnimmt. Muss ich aber selbst handeln und aktiv werden, befasse ich mich automatisch intensiver mit einem Thema. Hinzu kommt, dass interaktive Lernformen ein tatsächlicher Ersatz für eine persönliche Face-to-face-Schulung sein können und dadurch automatisch zu einem enormen Sparfaktor beim Ausbilden, Onboarden und Einarbeiten neuer Mitarbeiter werden. Nicht zu vergessen das Thema Lernstandskontrolle, die automatisch mit erfolgt. Wer dann zusätzlich noch die „Online-Lernwelt“ mit der „Offline-Lernwelt“ verbindet, verfügt über ein unschlagbares Ausbildungssystem.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Fehler beim Onboarding und Einarbeiten neuer Mitarbeiter?

Martin Sommer: Stark vereinfacht geht es um eine einfache Frage: Wer lernt was von wem und wann? Eine der ersten Fragen, die wir in einem Strategieworkshop immer stellen ist: Was muss ein neuer Mitarbeiter wissen oder können? Daraus ergeben sich dann die Lerninhalte. Die zweite Frage ist dann: Wer kann diese Lerninhalte am besten vermitteln? Und die dritte Frage ist: Zu welchem Zeitpunkt werden diese Lerninhalte an den neuen Mitarbeiter ausgespielt? Viele Unternehmen haben hier noch kein klares Konzept und lassen dadurch viel Potential auf der Straße liegen. Wer Mitarbeiter effizient und gründlich einarbeitet, hat einen enormen Wettbewerbsvorteil. Bei Unternehmen, die das allerdings nicht machen, sind die Ergebnisse der Ausbildung, des Onboardings oder der Einarbeitung dagegen oft zufällig. Dahinter steckt nicht selten ein Mangel an Zeit- bzw. Personalressourcen, weshalb die Einarbeitung neuer Mitarbeiter eher „nebenher“ läuft, weil das Tagesgeschäft natürlich Priorität hat. Das wiederum führt oft zu einer Art „Stille-Post-Wissensvermittlung“, wodurch wichtige Fähigkeiten der Mitarbeiter im Lauf der Zeit oft verwässern und wertvolles Know-how einfach verloren geht.

Inwieweit kann eine firmeneigene digitale Schulungsplattform im Hinblick auf den Fachkräftemangel im Unternehmen unterstützen?

Manuel Epli: In Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels stellt sich verständlicherweise die Frage, was mir als Unternehmen eine eigene Schulungsplattform nützt, wenn neue Mitarbeiter nur schwer bis gar nicht zu finden sind. Es lohnt sich aber, hier ein bisschen weiter auszuholen und das Thema zu Ende zu denken.
Im Moment ist es sicher noch so, dass Unternehmen durch eine clevere Recruiting-Strategie, z. B. über Social Media, neue Mitarbeiter gewinnen und – eine entsprechende Bezahlung vorausgesetzt – auch Fachkräfte von anderen Unternehmen abwerben können. Irgendwann ist dieser Pool an Fachkräften jedoch erschöpft oder solche Gehälter sind nur noch für wenige Unternehmen bezahlbar.

 
Früher oder später muss also ein Umdenken stattfinden und Firmen müssen zum Beispiel Quereinsteiger einstellen und ausbilden. Beim Recruiting stehen dann nicht mehr nur die Qualifikation, sondern vielmehr die Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften, die jemand für den Job mitbringen muss, im Vordergrund. Ein Konzept, das in den USA übrigens schon seit Jahren üblich ist.

 
Einem Unternehmen, das diese Einarbeitung jetzt auch noch digitalisiert und standardisiert hat, erschließt sich dadurch ein riesiger Pool an potenziellen Mitarbeitern. Ebenso ist es mit Bewerbern aus dem Ausland oder mit Sprachbarrieren. Firmen, für die Sprachdefizite bei der Einarbeitung keine Hürde darstellen – z. B. weil die Lernvideos über Untertitel in fast allen Sprachen verfügbar sind – vergrößern die Anzahle möglicher Kandidaten noch weiter.
Das ist eine Strategie, die viele noch nicht „auf dem Radar“ haben, die für die Zukunft unumgänglich sein wird, um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen. Ich bin davon überzeugt, dass dabei Themen wie „E-Learning“, „Automatisierung des Onboardings“ und „Systematisierung der Einarbeitung“ – gerade durch die sich zuspitzende Situation auf dem Arbeitsmarkt – immer entscheidender werden.